Expertin Sibylle Stippler (KOFA) über den Fachkräftemangel
Gemeinsam mit dem Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA) gehen wir dem Fachkräftemangel auf die Spur. Expertin Sibylle Stippler ist Senior Economist beim Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) und zweifache Mutter. Seit fast zehn Jahren beschäftigt sie sich als Studien-Autorin intensiv mit dem Thema Fachkräftesicherung.
Fast jedes zweite Unternehmen berichtet inzwischen von Problemen bei der Stellenbesetzung, viele brechen die Personalsuche erfolglos ab. Fachkräfteengpässe hemmen die deutsche Wirtschaft stärker als mangelnder Umsatz oder Finanzierungsprobleme. Hauptursache ist der demografische Wandel. Sprich: die Geburtenrate bleibt in Deutschland mit 1,57 Kindern je Frau konstant niedrig, während die geburtenstarken Jahrgänge (1964: 2,54 Kinder je Frau) allmählich in Rente gehen.
Warum die Geburtenrate hierzulande so niedrig ist, hat laut Demografieforschenden drei wesentliche Gründe. Eine schwierige Vereinbarkeit von Familie und Beruf, zu hohe Lebenshaltungskosten bei sehr knappem Immobilienangebot in Ballungszentren und die Tatsache, dass junge Frauen und Männer sich erst nach einer langen Ausbildungsdauer für Kinder entscheiden. Dadurch haben Paare nur ein kleines Zeitfenster für die Realisierung ihres Kinderwunsches. Jede fünfte Frau bleibt inzwischen kinderlos.
Kinderkriegen muss für eine langfristige Fachkräftesicherung also attraktiver werden. Beispielsweise durch familienfreundliche Ausbildungs- und Studienangebote, flexible oder ortsunabhängige Jobs sowie Karrieren, die mit dem Familienleben vereinbar sind.
„Der Fachkräftemangel ist ein strukturelles Problem und wird auch nach der Coronakrise Top-Thema bleiben.“, so die KOFA-Expertin. Vor allem in frauen- und männertypischen Branchen wie Gesundheit und Pflege, Handwerk, Metall- und Elektro und IT fehlt Personal. Arbeitskräfte mit Berufsausbildung sind besonders gefragt. „Personalpolitik und Recruitingprozesse müssen sich dem Arbeitsmarkt so schnell wie möglich anpassen.“, weiß Sibylle Stippler. „Personalverantwortliche kennen meist nur den Arbeitgebermarkt von früher, in dem sie eine Stelle ausschreiben und sich aus zahlreichen Bewerbungen die passende aussuchen konnten. Das funktioniert so leider nicht mehr. Anstatt nach erfolgloser Personalsuche aber direkt aufzugeben, empfehlen wir Unternehmen, zu schauen, wo noch ungenutzte Potentiale liegen und sich als Arbeitgebermarke für neue Bewerbergruppen attraktiv zu machen.“
Besonders viel Potential sieht die Teamleiterin im Fachkräfteeinwanderungsgesetz und der Frauenförderung in Unternehmen. Letzteres hat sie selbst motiviert, sich vor ein paar Jahren als Mutter einer Eineinhalbjährigen für einen Führungsposten zu bewerben. Die Stelle bekam sie trotz Teilzeitwunsch ganz selbstverständlich aufgrund ihrer guten Qualifikationen und führt inzwischen ein Team von neun Leuten. „Führungsjobs sind für qualifizierte Mütter hervorragend geeignet, um in Teilzeit oder im Home-Office zu arbeiten. Hier müssen Unternehmen ansetzen, um Engpässe zu überwinden.“ Das beginnt schon mit der Formulierung von Stellenausschreibungen. Nur 11 Prozent der Unternehmen geben das Stichwort „Teilzeit“ als mögliches Arbeitsmodell an und verlieren so qualifizierte Bewerber*innen. Dabei ist die Arbeitszeitreduktion bei Frauen mit Kindern in der Regel temporär. Je älter die Kinder werden, umso wahrscheinlicher ist es, dass Mitarbeiter*innen aufstocken und nach einiger Zeit sogar wieder eine volle Stelle besetzen können. Um solche Ressourcen nutzen zu können, müssen Unternehmen mehr flexible und fluide Arbeitsmodelle anbieten. Viele Mütter stecken in der Teilzeitfalle und möchten mehr arbeiten, während Personalabteilungen fieberhaft nach kompetentem Personal suchen.
Klare Handlungsempfehlung für eine nachhaltige Fachkräftesicherung ist daher eine strategische und langfristige Personalplanung, bei der auch internes Potential erkannt und gefördert wird. „Selbst ausbilden, mit Arbeitskräften einen gemeinsamen Karriereweg durch alle Lebensphasen hindurch planen und ältere Mitarbeiter*innen schließlich so lange wie möglich halten. Das ist der Schlüssel zur Fachkräftesicherung! In deutschen Firmen brauchen wir endlich eine „Experimentierkultur“. Der Lockdown hat bewiesen, dass es geht. Einfach mal machen!“, sagt die KOFA-Expertin Sibylle Stippler.
Kostenloses Infomaterialund kreative Lösungsvorschläge für alle Branchen gibt es beim Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA) und demBundesministerium für Familie.