„Sie haben den Job!“ Mit spuckendem Baby unterm Arm zum Vorstellungsgespräch
Nadine Grünfeld ist Executive Director beim TV-PRODUKTIONS- UND ENTERTAINMENT-HAUS Endemol Shine Germany in Köln. „Frau Direktorin“, wie sie intern liebevoll genannt wird, war lange Zeit alleinerziehende Mutter und realisierte mit Baby unterm Arm Formate wie „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ und „Let’s Dance“. Ihr knapp 70-köpfiges Team profitiert nicht nur von Nadine Grünfelds zwanzigjähriger Erfahrung im Fernseh-Business. Die Frohnatur kennt die Hürden der Vereinbarkeit noch aus der familienfreundlichen Steinzeit. Weit bevor es Elterngeld gab.
Wer mit Nadine Grünfeld spricht, merkt schnell: Diese Frau sprüht nur so vor Energie! Die Produzentin und zweifache Mutter führt ihr Team mit viel guter Laune. Inzwischen ist sie auch eine Art Beraterin für Mütter und Väter im Unternehmen. „Wichtig ist, dass wir gemeinsam Timings festlegen und uns auf realistische Abgabetermine einigen.“ Damit Vereinbarkeit klappt, müssen alle Beschäftigten mit entscheiden können, wie sie sich organisieren möchten. Natürlich sollte es für Mütter und Väter auch mit einem Vollzeitmodell möglich sein, nachmittags die Kinder vom Kindergarten abzuholen, ist sie überzeugt. Viele Mütter in Deutschland haben ihrer Erfahrung nach bereits ein Vollzeitpensum im Job, möchten aber lieber in einem Teilzeitvertrag bleiben. Einfach, weil Karrieremachen als Mama gesellschaftlich nicht anerkannt ist und viel Mombashing von außen kommt. „Eine Vollzeit berufstätige Mutter ist zu Unrecht eine Persona non grata. Arbeitet doch nicht mehr und verdient weniger, nur weil ihr euch schuldig fühlt!“, rät sie allen Working Moms. „Ihr müsst nicht überall 200 Prozent geben.“
Ihr Tipp: „Besser ein flexibles Vollzeitmodell mit dem Arbeitgebenden aushandeln und für geleistete Arbeit auch bezahlt werden. Anstatt „heimlich“ unbezahlte Überstunden zu machen, nur um einerseits nicht als Rabenmutter und andererseits nicht als schlechte Angestellte dazustehen. Wenn es mit der flexiblen Vollzeit nicht klappt, lässt sich diese Entscheidung jederzeit phasenweise oder komplett rückgängig machen. Heutzutage gibt es so viele Möglichkeiten, Familie und Beruf ganz individuell unter einen Hut zu kriegen. Oft reicht ein offenes Gespräch mit der Chefin oder dem Chef.“
Als Grünfeld ihre Karriere startet, dann ungeplant schwanger wird und schließlich alleinerziehende Mutter eines kleinen Babys ist, gibt es noch kein Elterngeld, Anspruch auf einen Krippenplatz oder Karriere in Teilzeit. „Die Arbeitswelt war für Mütter damals brutal! Frauen mit Kindern wurden sofort abgestempelt. Entweder du bist Zuhause geblieben oder du hast weitergemacht wie vorher. Für alles andere gab es wenig Verständnis.“ Familienfreundlichkeit ist in der Fernsehbranche auch heute noch teilweise schwer umsetzbar – gerade in Drehphasen. Aber schon damals galt: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Und so nahm Nadine Grünfeld ihr 1 ½ Jahre altes Kleinkind inklusive Begleitperson einfach mit zum ersten großen Drehprojekt nach Australien. Während ihre Kolleg*innen in den Drehpausen verschnaufen konnten, war sie Mama und kümmerte sich um die kleine Tochter. „Natürlich waren die Vollzeitdrehs mit Kind im Gepäck hart. Ich habe oft geheult. Aber ich hatte auch Glück, dass ich als alleinerziehende Mutter weiterhin arbeiten und Geld verdienen konnte. Viele meiner Vorgesetzten waren kinderfreundlich und versuchten stets individuelle Lösungen für mich zu finden. Sie vertrauten mir, dass ich meine Aufgaben gewissenhaft erledigen würde.“
Beim zweiten Kind sechs Jahre später war die Situation eine völlig andere. „Ich hatte einen Partner an meiner Seite, mit dem ich mir bis heute alle familiären Aufgaben teile. Diesmal wollte ich alles richtig machen: Die Elternzeit genießen, Mutter-Kind-Kurse besuchen, stillen. Ich habe aber schnell gemerkt, dass ich dafür nicht der Typ bin. Auch das Stillen wollte nicht klappen. Ich hatte Hummeln im Hintern und außerdem wahnsinnig großen Spaß daran zu arbeiten. Und so bin ich auch beim zweiten Kind nach fünf Monaten Elternzeit wieder zurück in den Job. Ich erinnere mich genau, wie ich damals mit meiner kleinen Tochter zum Vorstellungsgespräch für meinen ersten Führungsposten ging, weil es sich nicht anders einrichten ließ. Mein Baby spuckte erstmal ins Büro meines zukünftigen Chefs. Trotzdem war das Gespräch ein voller Erfolg. „Sie haben den Job!“ Das ist für mich echte Familienfreundlichkeit und diese Werte gebe ich in meiner Position auch gerne weiter.“
Durch Corona ist mir noch bewusster geworden wie wichtig Vereinbarkeitsdenken als Führungskraft ist. „Eine ganz neue Erfahrung für mich – meine Unit primär aus dem Homeoffice zu leiten, wenn nebenan zwei Kinder versuchen ihre Hausaufgaben zu machen. Mittags um Punkt 12 kommt „Ich habe Hunger!“. Bitte? Ich habe noch nie gerne gekocht. Plötzlich schäle ich Karotten mitten in einem Management Call.“
Das Schöne daran sei aber die gemeinsame Zeit mit den Kindern. „Zur Not muss eine E-Mail dann halt mal bis zum Abend warten. Oder eben auch das Kind. Alles gleichzeitig schaffen, geht nicht.“, betont die Produzentin.
„Ins Büro zu fahren, fühlt sich gegen den Homeoffice- und Homeschooling-Alltag flott nach Urlaub an.“